Irgendwann hört jeder angehender Schriftsteller von diesem legendären Grundsatz der Schreibkunst.
Was aber bedeutet das?
Woher kommt diese Regel – show, don’t tell – eigentlich?
Die Regel ist also ganz einfach: Lass die Handlung deines Romans wie einen Kinofilm an deinen Lesern vorbeiziehen. Achte darauf, dass beim Lesen der Worte Bilder im Kopf entstehen.
Die Regel mit dem Kopfkino möchte ich noch etwas näher erläutern. Es gibt bei Filmen (in der Regel) keinen Erzähler, der zum Beispiel Redebegleitsätze einfügt und ihre Gefühle erwähnt. Gut, im Film sehen wir, wer redet, und im Buch nicht, daher benötigen wir ab und zu Information, wer denn jetzt mit Reden dran ist.
Aber: Paul sagte wütend … Maria stotterte peinlich berührt … all diese Informationen müssen im Kinofilm gezeigt werden. Wir sehen und hören, wie Pauls Gesicht vor Wut verzerrt ist und er schreit. Und wir sehen und hören, wie Maria den Kopf senkt, blass wird und sto… sto … stottert. Durch Mimik und Gestik entnehmen Kinozuschauer enorm viel Information! Und so sollte es im Text auch sein. Es ist auch hier möglich, Gefühle und Sachverhalte zu zeigen, statt sie einfach nur zu erzählen.
Ein Beispiel für tell
Es war ein langweiliger verregneter Samstagnachmittag im November. Ich saß mit Paul im Café, die Stimmung war gemütlich und wir tranken Cappuccino und heiße Schokolade.
Puh, ganz schön dröge, oder? Versuchen wir mal, ein bisschen show reinzubringen.
Ein Beispiel für show
Gemächlicher Novemberregen ploppte auf das Dach des Wintergartens und die Stimmen der anderen Gäste im Café klangen gedämpft zu uns hinüber. Uns gegenüber saß ein junges Pärchen. Durch die Blätter der Palme, die unsere Tische voneinander trennte, beobachtete ich, wie er ihre Hand nahm und seine Augenwinkel kleine Fältchen bekamen, weil er sie so verliebt anstrahlte. Der Duft ihres frisch aufgebrühten Kaffees wehte zu uns hinüber und ich seufzte leise. Während ich in meiner heißen Schokolade rührte, warf ich einen versonnenen Blick auf Paul.
Wie aber schaffe ich es, mehr show in meine Texte zu bringen?
Benutze Sinneseindrücke.
Es lohnt sich also, öfter ans Riechen, Fühlen und Schmecken zu denken. Dabei darfst du ruhig ungewöhnliche Worte benutzen, also zum Beispiel fühlte sich der Pullover auf der Haut so an, als striche man mit der Hand über die rauen Borsten eines Schweins.
Erwähne den Duft von frischgebackenem Brot. Den süßen und gleichzeitig sauren Geschmack, wenn du in einen Apfel beißt. Der Duft von Anis und Zimt versetzt den Leser vielleicht in die glückselige Kindheit, in die Vorweihnachtszeit, als Plätzchen gebacken wurden … so kombinierst du gleichzeitig Sinneswahrnehmung und Gefühle, und du weißt ja, je mehr Gefühle beim Leser geweckt werden, umso besser.
Benutze Vergleiche
Werde konkret
Vermeide es, Sachverhalte zu behaupten
Vorher: Ich war wütend auf den Doktor.
Nachher: Ich knirschte mit den Zähnen. „Jetzt reicht es. Diesem Doktor wird das Handwerk gelegt, so wahr ich hier sitze!“
So kann man Emotionen der Romanfiguren darstellen, ohne sie einfach nur zu benennen. Und denke auch daran, dass du bei eindeutigen Gefühlsäußerungen auf den Redebegleitsatz verzichten solltest. Also beim obigen Beispiel solltest du NICHT noch das folgende Fettgedruckte einfügen:
Ich knirschte mit den Zähnen. „Jetzt reicht es. Diesem Doktor wird das Handwerk gelegt, so wahr ich hier sitze!“, sagte ich wütend.
Denn dass die Ich-Erzählerin wütend ist, kann der Leser dem Zähneknirschen und der Aussage entnehmen.
Überlege dir, wie sich bestimmte Situationen anfühlen und was sie bewirken, anstatt sie einfach zu beschreiben
Wir verließen das Café und traten hinaus auf die regennasse Straße.
Wir verließen das Café. Regentropfen schlugen mir ins Gesicht und ich fröstelte.
Vorher: Maria putzte die Fenster. Eines befand sich auf Hüfthöhe, das andere fast ganz oben an der Decke.
Nachher: Maria putzte die Fenster. Eines befand sich auf Hüfthöhe, das kleinere hingegen fast ganz oben an der Decke, sodass sie sich strecken musste, um es sauberzubekommen.
Beim zweiten Satz hat man hier ganz deutlich das Bild der sich streckenden Maria vor Augen. Beim ersten Satz ist das eher nicht der Fall, oder?
So kann man etwas Dynamik in eine Szene hineinbringen, die die Vorstellungskraft des Lesers leichter in Gang bringt.
Show, don’t tell bedeutet auch, den Leser seine eigenen Schlüsse ziehen zu lassen
Wenn du beispielsweise eine Person beschreiben möchtest, so versuche doch mal, sie über ihre Handlungen zu charakterisieren. Lass deine Person reden, denken, handeln, ungeschickt sein oder was auch immer. Du musst gar nicht schreiben: Adele war schlampig gekleidet und faul. Verwebe stattdessen die Beschreibung mit einer Handlung. Schildere ihre ausgelatschten Sandalen, ihre schlabbrigen Jogginghosen, ihre trägen Bewegungen und ihren gelangweilten Gesichtsausdruck, wenn sie die Beine auf den Sofatisch legt (und das möglichst ohne seichte Adjektive – probiere es mal). So kann sich der Leser selbst denken, wie Adele drauf ist und er bekommt es nicht von dir fertig interpretiert vorgelegt.
Vielleicht findet die Leserin Adeles Jogginghosen grässlich. Vielleicht aber trägt sie am liebsten genau die gleichen Lieblingsteile und findet sich in Adele total wieder? Das kannst du als Autor natürlich nicht wissen 🙂
Allerdings nimmt show deutlich mehr Raum ein
Es ist immer ein Abwägen, wie detailliert eine Szene beschrieben werden muss, um die Geschichte voranzubringen. Hat die Szene nur untergeordnete Bedeutung, so ist man manchmal mit einem knappen tell besser bedient. Auch wenn du große Zeiträume raffen musst, wirst du um tell nicht herumkommen. Aber das ist in Ordnung.
Merke: Szenen, die die Handlung vorantreiben, sollten gezeigt werden. Szenen, die unwichtig sind, aber zum Verständnis erwähnt werden müssen, sollten knapp erzählt werden.
Das hört sich logisch an. Leider ist es aber leider nicht immer leicht zu entscheiden, wo jetzt tell und wo show angezeigt ist.
Zu guter Letzt
Weil wir von Kindheit an gewohnt sind, auf diese Weise Geschichten erzählt zu bekommen:
Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei Kindern; das Bübchen hieß Hänsel und das Mädchen Gretel. Er hatte wenig zu beißen und zu brechen, und einmal, als große Teuerung ins Land kam, konnte er das tägliche Brot nicht mehr schaffen …
Tatsächlich. Ja, genau so ist es. Und Mama oder Papa erzählen abends die Gute-Nacht-Geschichte auch nicht anders. Oder schaut mal in die Bibel …
Und wenn wir nun wissen, warum wir auf diese Weise schreiben und wie wir es besser machen können, ist es doch nur noch eine Kleinigkeit, show, don’t tell umzusetzen. Oder?
Christiane Suckert
Juni 12, 2023 at 8:11amEin freundliches Hallo aus Cottbus,
auf meinem Kopf tanzten während des Lesens 100 Ausrufezeichen! Ich glaubte, mit meinem Manuskript fertig zu sein. Eine innere Stimme nervte mich regelrecht, mit dem Versenden zu warten. Manchmal bedarf es nur einer kleinen Zutat, um eine Suppe schmackhafter zu machen. Diese Zugabe hast du mir mit deinem anschaulichem Artikel geliefert. Welch Glück,dass ich auf deine Seite gelangt bin. Lieben Dank dafür. Nun werde ich meiner Geschichte fühl- und riechbares Leben einhauchen. Und mir kribbelt es schon in den Fingern.
Herzliche Grüße
Christiane Suckert
Steffi
Juni 12, 2023 at 8:52amLiebe Christiane, deine Nachricht freut mich sehr! Ich wünsche dir viel Spaß beim „Verfeinern“ deiner Geschichte. Liebe Grüße, Steffi
Horst Fuchs
November 3, 2020 at 12:42pmVielen dank für die hilfe…
Steffi
November 3, 2020 at 3:36pmSehr gern geschehen 🙂