Charakterentwicklung: Wie du Archetypen genial nutzen kannst

Kampfszene Was sind Archetypen

Der Begriff Archetyp stammt ursprünglich aus der Psychologie. Carl Gustav Jung, ein Schüler von Sigmund Freud, beschäftigte sich eingehend mit Archetypen.

Man kann die Archetypen aber auch wunderbar in der Schriftstellerei gebrauchen, denn es hilft ganz enorm, wenn man sich überlegt, welche „Rollen“ denn nun besetzt werden können und man sich dabei an den Archetypen orientieren kann. Ein klassisches Beispiel wäre ein Fantasy-Roman, wo meist eine Gruppe auf die Reise geschickt und der Plot nach dem Muster der Heldenreise gestrickt wird. Es funktioniert aber selbstverständlich auch in anderen Situationen.

In vielen sehr berühmten Romanen (z.B. Herr der Ringe und typische Heldenreise) finden sich zahlreiche Archetypen wieder und tragen nicht unbedeutend zum Erfolg dieser Geschichten bei. Die Archetypen sind universell verständlich und funktionierten schon in der Antike (schau dich mal in der griechischen Mythologie um) und vermutlich schon viel früher.

Und was ist nun ein Archetyp?

Ein Archetyp repräsentiert in einer Geschichte eine Rolle, die alle Menschen, egal welcher Kultur, verstehen und unbewusst verinnerlicht haben. Wir verknüpfen beispielsweise mit dem Bild des Helden bestimmte Erwartungen und Vorstellungen, wie er auszusehen hat, wie er zu handeln hat und welchen Hintergrund er hat. Dies erspart dem Autor eine gewisse Arbeit, weil er sich solche Erläuterungen weitestgehend schenken kann, denn der Leser weiß ja, war er von einem Helden erwarten darf.

Die Kunst ist nun, aus diesem Skelett des Archetypen dreidimensionale Figuren zu erschaffen, die trotz ihres klischeehaften Ursprungs individuelle Züge aufweisen, für Überraschungen sorgen und dadurch zum Leben erwachen. Du kannst also quasi die Erwartungen deiner Leser in Bezug auf die Eigenschaften des Archetypus in einigen Aspekten erfüllen, in anderen hingegen bewusst enttäuschen. Dabei ist deiner Fantasie im Prinzip keine Grenzen gesetzt. Du kannst in einem Charakter beispielsweise auch mehrere Archetypen verweben, wenn das deiner Geschichte dienlich ist. Auch müssen Archetypen nicht immer von einem Charakter repräsentiert werden. Der Schatten kann durchaus auch eine schlechte Eigenschaft deines Helden sein (so beschreibt es auch C.G.Jung), die einen inneren Konflikt heraufbeschwört.

Aber darum soll es heute nicht gehen. Vielmehr möchte ich dir die typischen Archetypen vorstellen, sodass du etwas in der Hand hast, wenn du gerade deine Geschichte bevölkern willst 🙂

Welche Archetypen gibt es?

  • Heldin/Held
  • Schatten
  • Mentorin/Mentor
  • Schwellenhüterin/Schwellenhüter
  • Gestaltwandlerin/Gestaltwandler
  • Herold
  • Tricksterin/Trickster

Man findet durchaus noch weitere Archetypen, doch im Prinzip sind diese dann Weiterentwicklungen oder Ableitungen aus diesen sieben. Diese sieben bilden das Grundmuster, das du dann nach Belieben vermischen und verweben kannst.

Gehen wir sie einmal kurz durch:

Die Heldin/ der Held

Hier noch eine kleine Erläuterung zur Begrifflichkeit: Der Begriff Heldin/ Held wird hauptsächlich beim Konzept der Heldenreise verwendet. Daher könnte man unterscheiden zwischen einer Heldin, die die Heldinnenreise durchläuft und einer Protagonistin. Diese Begriffe werden dennoch recht synonym benutzt, was teilweise für Verwirrung sorgen kann. Wenn man es ganz genau nimmt, ist eine Heldin immer die Protagonistin und macht die Heldenreise durch. Eine Protagonistin kann also durchaus eine Heldin sein, muss es aber nicht.

Die Heldin ist natürlich die wichtigste Figur deines Romans. Natürlich ist sie am Anfang deines Romans noch keine Heldin. Sie entwickelt sich im Verlauf der Geschichte dazu und diese Entwicklung, die darlegt, wie deine Heldin zu einem (in der Regel) besseren Menschen wird, ist deine Story. Sie bricht also auf, um etwas zu erledigen oder ganz banal, um etwas zu erleben, und kehrt verändert zurück.

Die Leser identifzieren sich mit ihr und ihren Stärken und Schwächen und können auf diese Weise ihre Veränderung im Lauf der Geschichte nachvollziehen. Heldinnen dürfen am Anfang ruhig schwach sein und andere ungünstige Eigenschaften aufweisen – wichtig ist nur, dass sie diese dann irgendwann ablegen und was lernen.

Beispiele für Helden: Harry Potter, James Bond, Luke Skywalker usw.

Der Schatten

Der Schatten kann einerseits ganz einfach dein Bösewicht sein, auf den die Ängste, Zweifel, Schuldgefühle etc. der Heldin übertragen werden. Er ist das Böse, der schlimmste Gegner, und wird meistens von der Heldin am Ende besiegt, wenn sie es schafft, sich selbst zu überwinden und zu läutern.

Der Schatten kann aber auch unterdrückte Züge der Persönlichkeit der Heldin repräsentieren, mit denen sie sich nicht auseinandersetzen will, es aber am Ende tun muss, um sich zu entwickeln.

Beispiele für Schatten: Voldemort, der Imperator bzw. sein Handlanger Darth Vader aus Star Wars und natürlich die böse Seite von Dr. Jekyll, nämlich der Mr Hyde.

Die Mentorin/ der Mentor

Mentoren sind dazu da, der Heldin zu helfen, sie auszubilden und für den letzten Kampf vorzubereiten. Zumeist stehen sie in einem Lehrer/Schüler-Verhältnis. Mentoren sollen reich an Erfahrung sein und waren früher vielleicht selber einmal ein Held. Beispiele gibt es viele, z.B. Gandalf aus Herr der Ringe oder Dumbledore in Harry Potter.

Ein gelungenes Beispiel für eine recht unkonventionelle Interpretation des Mentoren fand ich Haymitch in den Tributen von Panem, der als Mentor von Katniss und Peeta arbeitet. Er ist nicht weise und ruhig wie die normalen Mentoren, sondern versoffen, überhaupt nicht zuverlässig und hat mit seinen eigenen Ängsten zu kämpfen. Trotzdem gibt er sich Mühe, die beiden auszubilden…

Die Schwellenhüterin/ der Schwellenhüter

Schwellenhüter sind ganz besonders interessant für Geschichten, denn sie bieten großes Potential für Konflikte und Hindernisse. Sie prüfen die Heldin, ob sie schon bereit ist, einen Schritt in das Abenteuer zu starten, indem sie versuchen, sie dabei zu behindern, ihr Ziel zu erreichen. Manchmal sind es Vorgesetzte, die deiner Heldin Steine in den Weg legen, sie suspendieren zum Beispiel, oder die Eltern, die ihr verbieten, das Haus zu verlassen. Sie können Diener des Schattens sein, müssen aber nicht.

Auch müssen sie dabei nicht unbedingt personifiziert sein, Schwellenhüter können andere Hindernisse sein, wie ein Unwetter, vor dem die Heldin kneift und nicht raus möchte, Anfeindungen, vor denen sie sich fürchtet oder etwas in der Art.

Beispiele für Schwellenhüter: Bei Harry Potter der dreiköpfige Hund, der die Falltür bewacht, oder in der griechischen Mythologie der dreiköpfige Höllenhund Cerberus, der den Eingang zur Unterwelt versperrt (Zufall 😉 ?). Hier wurde der Begriff des Schwellenhüters recht wörtlich genommen. Heutzutage könnten es Securitymänner, Türsteher oder Grenzbeamte sein.

Die Gestaltwandlerin/ der Gestaltwandler

Gestaltwandler sind Figuren, die die Heldin verwirren sollen. Sie haben zwei Gesichter, geben sich vielleicht als Vertrauter der Heldin aus und verraten sie dann eiskalt. Einen Gestaltwandler im Roman zu erkennen, ist mitunter schwierig, bis er sein zweites, böses Gesicht zeigt. Manchmal kommen aber auch schon früh Zweifel auf, ob sich die Heldin auf diese Figur verlassen kann oder ob sie von ihr im Stich gelassen oder verraten wird. Das macht die Geschichte dann besonders spannend, während im ersteren Fall die Überraschung des Lesers groß ist. Manchmal ist es auch nicht eindeutig, welcher Seite sie zuzurechnen sind, denn Gestaltwandler weisen oft gute und böse Seiten auf. Bei Liebesromanen könnte sich ein Gestaltwandler hinter dem Geliebten verbergen, dessen Treue sich die Protagonistin nicht sicher ist.

Beispiele für Gestaltwandler: Es gibt auch Gestaltwandler, die im ganz wörtlichen Sinne ihre Gestalt ändern: die böse Königin, die sich als alte Krämerin verkleidet, um Schneewittchen den vergifteten Apfel zu verkaufen.

In Game of Thrones ist Lord Varys nicht zu durchschauen und weist damit ebenfalls Merkmale eines Gestaltwandlers auf. Ich finde aber auch Kleinfinger einen wunderbaren Gestaltwandler, weil man sich bis zu seinem Ende überhaupt nicht sicher ist, was er im Schilde führt und auf welcher Seite er eigentlich steht.

Ein herrliches Beispiel, wo ein Held gleichzeitig Elemente eines Gestaltwandlers aufweist, ist die Geschichte von John Dunbar aus dem Film Der mit dem Wolf tanzt. Er ist innerlich völlig zerrissen zwischen seiner alten Welt, der Zivilisation, und der neuen Welt, nämlich der der Indianer.

Der Herold

Ein Herold soll etwas verkünden, sprich, er ist ein Bote mit einer Nachricht, die der Geschichte ins Rollen bringt. Er überbringt der Heldin den Ruf zum Abenteuer. Es ist keine Seltenheit, dass der Part des Herolds in einen anderen Archetypen hineinverwoben wird, ganz oft z.B. überschneidet er sich mit dem Mentor, wie in Herr der Ringe, wo Gandalf Frodo zu seinem Abenteuer ruft.

Allerdings muss ein Herold nicht immer eine Person sein, es könnte auch ein Brief oder ein Naturereignis sein, was die Heldin zum Abenteuer auffordert. Manchmal übernehmen auch mehr oder weniger wichtige Nebenpersonen die Aufgabe des Herolds.

Beispiele für Herold: Hagrid überbringt Harry Potter den entscheidenden Brief mit der Aufnahme in Hogwarts.

Die Tricksterin/ der Trickster

Der Trickster ist oft ein Begleiter der Heldin, der oftmals die ganze Situation nicht so ernst nimmt und die Heldin durch seinen Humor und chaotisches Benehmen wieder auf den Boden der Tatsachen zurückführt. Er lockert die ganze Geschichte etwas auf und sorgt beim Leser für Lacher und Entspannung. Ein Trickster findet sich daher oft in Romanen, die eine hohe Spannungskurve aufweisen.

Manchmal ist die Heldin selber eine Tricksterin, vor allem in Komödien sorgt sie selbst für Lacher, oder sie nimmt Züge einer Tricksterin an, wenn sie jemanden überlistet. Trickster sind einfallsreich, komisch, listig und humorvoll.

Eine weitere wichtige Funktion eines Tricksters ist, dass sie der Heldin dabei helfen, sich zu verändern, ohne sich dabei selbst weiterzuentwickeln. Er hilft ihr, ihr Ziel zu erreichen.

Beispiele für Trickster: Wer die Bücher von Wolfgang und Heike Hohlbein kennt, weiß, dass die Heldin bzw. der Held sehr oft eine komische Figur als Begleitung hat, die alle Merkmale eines Tricksters erfüllen. In Herr der Ringe finden wir Samweis Gamdschie, der Frodo treu begleitet und ihn durch seine friedliebende Art oftmals herunterholt.

Jeder Archetyp erfüllt eine ganz bestimmte Rolle in der Geschichte

Es ist wichtig zu verstehen, dass Archetypen keine Personen an sich darstellen, sondern nur Masken sind, die sich die Charaktere überstülpen (Christopher Vogler betont dies in seinem Buch The Writer’s Journey (Die Odyssee des Drehbuchschreibers) ausdrücklich. Wer sich für Archetypen bzw. das Konzept der Heldenreise interessiert, wird unvermeidlich über seinen Namen stolpern). Deshalb ist es auch möglich, dass ein Held gleichzeitig Trickster-Elemente aufweist, oder dass sich mehrere Mentoren in einer Geschichte finden. Überhaupt der Mentor: er könnte sowohl Mentor als auch Gestaltwandler und womöglich noch der Schatten sein.

Abschlussgedanken

Was mir beim Schreiben des Artikels aufgefallen ist: Als ich nach Beispielen für typischen Vertreter der verschiedenen Archetypen gesucht habe, sind mir in der Mehrheit männliche über den Weg gelaufen. Dies liegt vielleicht in der Natur der Sache, dass die Archetypen eben ein uraltes Konzept darstellen und die gesamte Mythologie, überhaupt die ganzen Sagen und Märchen eben zutiefst patriarchalisch geprägt sind. Aber man begegnet ja sogar in der Gegenwart recht vielen männlichen Figuren, die Geschichten dominieren. Von Herr der Ringe will ich ja gar nicht sprechen, die Story ist schon etwas älteren Datums, aber selbst Harry Potter zeichnet sich durch hauptsächlich männliche Figuren aus: Harry Potter als Held, Dumbledore als Mentor,  Hagrid als der Herold, Voldemort als Schatten, als Gestaltwandler erweist sich letzten Endes Snape, usw.

Sicher gibt es entsprechende weibliche Charaktere, wenn man nur genügend lang sucht. Aber ins Auge fallen einem doch eben die bekanntesten und berühmtesten, und die sind meist männlich.

Ganz davon abgesehen, sind meiner Meinung nach die Archetypen ein wunderbares Gerüst, um eine Figur mit Leben füllen zu können. Also, liebe Autorinnen (und Autoren), nutzt die Archetypen! Und ich schlage vor, erschafft mal wunderbare weibliche Charaktere, die die Weltliteratur erobern!

Nutzt du die Archetypen beim Kreieren deiner Charaktere?
Kennst du wundervolle weibliche Archetypen in der Literatur? Lass es uns wissen!

One thought on “Charakterentwicklung: Wie du Archetypen genial nutzen kannst

  1. Francis

    September 10, 2021 at 3:47pm

    Hallo,
    Vielen Dank für die tollen informativen Texte.
    Habe ich richtig verstanden, der Mentor kann auch ein Gestaltwandler sein?

    Der Link im Text des Helden ist nicht mehr aktuell.

    Viele Grüße Francis

    • Author

      Steffi

      September 13, 2021 at 12:24pm

      Hallo Francis, danke für deinen Kommentar. Sicherlich kann der Mentor auch ein Gestaltwandler sein, warum nicht? Ein Beispiel hierfür fällt mir auf die Schnelle nicht ein, und ich denke, dass eine derartige Konstellation auch nicht so üblich ist. Schließlich soll der Mentor den Helden ausbilden, ihm zur Seite stehen … wenn er sich da als Gestaltwandler entpuppt, ist das sicher ein arger Schock, sowohl für den Helden als auch für den Leser. Aber wenn man das gut entwickelt, wäre das eine spannende Sache.
      Den link habe ich herausgenommen, sehr schade, dass Marcus Johanus diesen prima Artikel gelöscht hat. Danke für den Hinweis.
      Herzliche Grüße, Steffi

      • Anni

        August 11, 2023 at 2:26pm

        Halle Francis, hallo Steffi,

        ich glaube mir fällt eine entsprechende Figur ein. Shadow and Bone hat als Mentor Kirigan. Oder auch der Dunkle genannt. Er tritt zunächst als Mentor auf und will die Prota ausbilden lassen. Doch er entpuppt sich letztlich als der böse der Story und hat sie nur für seine Zwecke benutzen wollen. Sie wird bis zum Schluss gegen ihn kämpfen.
        Viele Grüße, Anni

  2. Christian

    Mai 4, 2018 at 12:12pm

    Für meinen Roman plane ich, den Archtype des Antagonisten mit dem des Gestaltwandlers zu vereinen. So merkt der Protagonist nicht direkt, wer der wahre Antagonist ist, sondern ist im sogar nah.

    • Author

      Steffi

      Mai 5, 2018 at 9:31pm

      Hallo Christian,
      „normalerweise“ repräsentiert der Archetypus des Schattens den Bösewicht. Aber ein Gestaltwandler kann sich im Verlauf des Romans vom besten Freund des Helden zu seinem größten Feind entwickeln. Warum also nicht einen Schatten und Gestaltwandler verschmelzen? Das könnte richtig spannend werden, wenn dein Protagonist erst relativ spät merkt, wer sein wahrer Feind ist. Ich wünsche dir gutes Gelingen!

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