Kennst du das? Du hast deine Szene im Kopf, spielst sie vielleicht sogar noch während der Uni/Schule/Arbeit mehrmals im Kopf durch und setzt dich abends dann hin, um sie aufzuschreiben.
Und was geschieht? Deine Romanfigur handelt plötzlich ganz anders als geplant. Es ist, als würde die Figur ein Eigenleben entwickeln und Dinge tun oder sagen, die nicht in den Plot passen.
Hilfe, meine Romanfigur hat sich selbständig gemacht!
Wie bitte? Das geht doch gar nicht!
Eine Figur auf einem Blatt Papier kann natürlich nicht lebendig sein und einen eigenen Willen entwickeln. Natürlich stellen wir uns das so vor, aber es ist wichtig, sich klarzumachen, dass dies nur ein schönes Bild ist und absolut nicht wörtlich zu verstehen ist! Also solltest du dir zunächst klarmachen, dass du ganz allein der Chef bist.
Du allein hast es in der Hand, wie deine Figuren handeln!
Warum aber „benehmen” sie sich dann widerspenstig, wenn ich doch der Chef bin?
Nun, sagen wir einmal, für uns Autoren sind die Figuren real, allerdings nur so weit, wie wir sie geplant haben. Zu Beginn einer Geschichte wissen wir kaum etwas über sie, erst durch ihre weitere Handlung im Verlauf der Geschichte entwickeln sie sich zu einer dreidimensionalen Figur. Dies passiert am besten schon in der Plotphase. In dieser Plotphase lernen wir unsere Figuren kennen, bekommen ein Gespür für ihre Eigenheiten und lassen sie ihrem Charakter entsprechend handeln.
Dies bedeutet aber auch, je besser ich eine Figur entwickelt habe – und gleichzeitig den Plot – desto passender handelt sie und zwar dem Charakter entsprechend, mit dem ich sie entworfen habe. Tut sie das nicht und entwickelt sie scheinbar einen eigenen Willen, so muss ich das so interpretieren, dass irgendetwas an der Figur nicht stimmig ist. Oder aber eben am Plot! Figuren und Handlung sind eng miteinander verzahnt und müssen fein aufeinander abgestimmt werden. Figuren handeln innerhalb des Gesamtkonzeptes der Geschichte und wenn sie plötzlich etwas Unvorhergesehenes „tun”, dann signalisiert uns das:
Korrekturen sind angesagt, entweder an der Figur oder am Plot
Konkret bedeutet dies:
Halte ein mit deiner Geschichte. Prüfe zum einen, ob das neue Handeln der Figur zur Geschichte passt. Frage dich zum anderen, ob dieses Verhalten dazu beitragen kann, die Entwicklung deiner Figur voranzutreiben oder ob es eher hinderlich ist.
Habe ich schlampig geplottet?
Dies muss nicht unbedingt bedeuten, dass du schlampig geplottet hast. Beim Schreiben kommen einem fast immer neue Ideen, die sich hereindrängen und die Figuren anders handeln lassen als geplant. Das ist normal und bedeutet, dass sich deine Geschichte weiterentwickelt, auch wenn du die Plotphase schon hinter dir gelassen hast.
Es ist quasi die Eigendynamik der Geschichte. Selbst wenn du noch so sorgfältig geplottet hast, lernst du deine Figuren im Verlauf des Schreibens noch viel besser kennen. Nicht einmal der penibelste Plotter kann jedes Mosaiksteinchen der Geschichte voraussehen und so entwickeln sich manchmal unvorhergesehene Dynamiken. Die Romanfigur löst einen kleinen Konflikt und tut dies mit der vom Autor bestimmten Eigenschaften. Aber durch ihr Handeln verändert sie sich eben weiter und gewinnt vielleicht neue kleine Minieigenschaften, die du als Autor unmöglich vorausplanen kannst. So entstehen diese unvorhergesehenen Handlungen, die uns Autoren überraschen und uns vorgaukeln, unsere Figuren hätten ein Eigenleben.
Allerdings solltest du in so einem Fall den Plotplan unbedingt herannehmen und überarbeiten. Sonst endet deine Geschichte mit ihren „eigenwilligen” Figuren schnell im Chaos.
Huch, eine völlig fremde Person!
Es ist mir auch schon passiert, dass plötzlich völlig neue Figuren aufgetaucht sind. Dann schreibe ich vielleicht eine Seite, wundere mich über diese dreiste Person und irgendwann halte ich dann inne.
Passt diese neue Figur in mein Konzept? Ist sie dem Plot dienlich? Ist sie der Entwicklung meines Hauptcharakters dienlich?
Lautet die Antwort ja, dann darf sie bleiben. Aber ich setze mich dann hin und arbeite diese Person in den Rest des Plottes ein.
Lautet die Antwort nein, dann wird diese völlig unnötig geschriebene Seite wieder gelöscht. Aber gnadenlos. Lieber lösche ich jetzt ein paar wenige hundert Wörter als später bei der Überarbeitung festzustellen, dass diese Person alles durcheinander gebracht hat und rausgestrichen werden muss.
Genauso gehe ich mit Dialogen oder Szenen um, die sich ungeplant entwickeln.
Und du hast doch schlampig geplottet!
Das kann natürlich sein. Wenn sich die Romanfigur dauernd selbständig macht und völlig ungeplant und willkürlich reagiert, dann kannst du deine Figur wahrscheinlich nicht richtig einschätzen. Wer ist sie überhaupt?
Frage dich, was würde meine Figur ihrem Charakter entsprechend tun an dieser Stelle? Je besser du deine Figur kennst, desto vorhersehbarer wird ihr Handeln.
Wenn du diese Frage also nicht beantworten kannst, solltest du dir die Figur noch einmal vornehmen und versuchen, sie noch besser kennenzulernen.
Wenn Charaktere während des Schreibens ständig ein Eigenleben entwickeln, könnte es der Figur an Tiefe mangeln, denn in der Regel weiß der Autor bei gut ausgearbeiteten Figuren, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten würden. Handeln sie trotz sorgfältiger Ausarbeitung widersprüchlich, ist dies vielleicht der unbewusste Versuch, die Figur an den Plot anzupassen, genauer: Die Figur tut etwas, was ihrem Charakter widerspricht, nur damit der Plot weitergehen kann.
Im schlimmsten Fall benötigen beides, Figuren und Plot, eine Überarbeitung.
Was also tun, wenn sich Romanfiguren nicht wie geplant entwickeln?
- Prüfe, ob die neue Entwicklung in deinen Plotplan passt.
- Prüfe, ob die neue Entwicklung zu deiner Figur und ihren Zielen passt.
Falls du beide Fragen mit ja beantworten kannst, ist alles gut. Passe deinen Plotplan an. Deine Intuition hat dich offenbar in die richtige Richtung geführt.
Falls nein:
- Prüfe, ob du die Charakterentwicklung deiner Figur korrigieren musst.
- Prüfe, ob du den Plot korrigieren musst.
Falls du eine oder beide Fragen mit ja beantworten musst, mach dich an die Arbeit 😉
Falls du beide Fragen mit nein beantwortet hast, streiche die Szene und schreibe sie neu.
Fazit
Je genauer du plottest und je sorgfältiger du deine Romanfiguren entwickelst, desto mehr sollte sich ihr „Eigenleben” in Grenzen halten. Ganz unterdrücken wirst du ihre „Widerspenstigkeit” aber nicht können.
Letztlich läuft es wieder auf die altbekannte Frage hinaus, muss ich meinen Roman vorher plotten und wie ordentlich muss ich dabei sein? Da musst du einen Weg für dich finden …