Es gibt keine Regel, die einem verbietet, an zwei oder mehreren Geschichten gleichzeitig zu arbeiten. Das zuallererst! Diese Unsicherheit, ob etwas „machbar” ist, kommt oft von Schreibanfängern, die ihre Routine noch nicht entwickelt haben. Dies ist ganz plausibel und nachvollziehbar und deshalb möchte ich dazu einige Gedanken zur Diskussion stellen.
Es gibt verschiedene Arten, an zwei Romanen gleichzeitig zu schreiben
Unterscheiden muss man das phasenverschobene Arbeiten an mehreren Romanen, das sich einfach aus dem Schreibprozess heraus ergibt. Ein Roman wird ja nicht einfach so aus dem Nichts heruntergeschrieben. Als Phasen bezeichne ich hier die verschiedenen Stadien, in der sich die Geschichte befindet, z.B. die Plot-Phase, die eigentliche Schreibphase, die Überarbeitungsphase usw.
Im Gegenzug dazu steht das eigentliche Schreiben an zwei oder mehreren Romanen, also wenn sich die Romane beide im gleichen Stadium befinden. In der Regel reden wir hier von der Schreibphase.
Das phasenverschobene Arbeiten an zwei Romanen
Schreibanfänger übersehen oft, dass das Schreiben von Romanen ein mehrphasiger Prozess ist. Meist machen sie sich ein paar Gedanken, über was sie gerne schreiben würden und legen dann los. Ist die Geschichte glücklich beendet, ist man (zu Recht) stolz. Die „Produktion” eines Romans wird hier fast ausschließlich auf die Schreibphase reduziert.
Das kann gutgehen. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass sich, wenn die Schriftstellerei ernsthaft angegangen werden soll, der Schreibprozess in mehrere Phasen aufteilt. Nämlich in die Plotphase (plotlos Schreibende werden sich zumindest einige Zeit Gedanken über Charaktere und Handlung machen), das Schreiben des Rohentwurfs, die Überarbeitung, optional Testleserunde, weitere Überarbeitung, und, wenn man veröffentlichen will, Lektorat, Covergestaltung, Schreiben des Exposés etc.
Aus diesem Prozess heraus ergeben sich Leerphasen. Beispielsweise wenn sich der Roman gerade bei den Testlesern oder im Lektorat befindet. Oder wenn man den Rohentwurf für einige Zeit beiseite legt, um Abstand zu gewinnen für die sich anschließende Überarbeitung.
Diese Leerphasen schreien geradezu danach, dass man sich mit dem nächsten Projekt beschäftigt.
Wenn man sich so umhört, arbeiten viele Autoren nach diesem Muster. Da der andere Roman gerade ruht, kannst du all deine Konzentration auf das andere Projekt richten und dort ein gehöriges Stück vorwärtskommen. Sicherlich musst du dich beim „Wechsel” erst einmal kurz einarbeiten und orientieren. Aber das geht in der Regel schnell und du kannst wieder konzentriert weiterarbeiten.
Die gleichzeitige Schreibphase an zwei Romanen
Theoretisch kann man auch hier wieder zwei verschiedene Praktiken unterteilen. Nämlich zum einen diejenigen, die wirklich gleichzeitig schreiben, also beispielsweise morgens an ihrer Fantasy-Geschichte und abends an ihrem Liebesroman. Das könnte durchaus funktionieren, meine ich, allerdings kostet das Umschalten Kraft und man muss schon diszipliniert arbeiten.
Und zum anderen gibt es diejenigen, die sich zwei Wochen in ihren historischen Roman verbeißen, nicht weiterkommen und für eine Weile an ihrem Kinderbuch weiterschreiben. Und dann wieder wechseln. Die Grenzen zwischen beidem ist natürlich fließend.
Der Vorteil an einer solchen Arbeitsgewohnheit ist, dass du, wenn du an einen toten Punkt gelangst, nicht weiter weißt oder eine sogenannte Schreibblockade hast, du vielleicht mit der anderen Geschichte weiterkommst. Es soll ja auch Tage geben, an dem man nicht in Stimmung ist für Romantik und Liebesgeschwulst. Also schreibst du einfach eine Horrorszene für deine andere Geschichte. Warum nicht?
Manchmal hakt es einfach und der Protagonist geht dir auf den Geist, wenn er nicht das macht, was er soll. Dann kannst du das Projekt ruhen lassen und am anderen weiterschreiben. Vielleicht fließen die Sätze dort wieder.
Nachteile beim gleichzeitigen Schreiben
Der Nachteil bei dieser Arbeitsweise besteht darin, dass man viel langsamer vorwärtskommt. Das Ende (für beide Geschichten) ist noch in weiter Ferne.
Es gibt noch weitere kritische Punkte. Manchen Autoren fällt es schwer, sich ständig von neuem in zwei verschiedene Geschichten eindenken zu müssen. Man verliert Zeit, weil man noch einmal die letzte Szene durchlesen und sich überlegen muss, was eigentlich geschehen ist. Dies scheint besonders in der Schreibphase ein Problem zu sein. Alles ist noch frisch im Kopf und nicht schon ein paar Mal verinnerlicht wie beispielsweise nach der dritten Überarbeitung.
Diesen Zeitverlust finde ich besonders kritisch, wenn du nicht täglich, oder zumindest in nahem Abstand, an deinen beiden Geschichten arbeitest.
Einfacher ist es, konsequent täglich weiterzuschreiben, damit der Faden nicht verlorengeht. Auch das Gefühl, die Stimmung für die Geschichte bleibt vorhanden und arbeitet oft selbst in den Nicht-Schreibphasen (z.B. beim Wäscheaufhängen :-)) unbewusst daran weiter. Ob du dann an zwei Geschichten oder nur einer arbeitest, ist egal, Hauptsache, du beschäftigst dich täglich, oder zumindest sehr zeitnah, damit.
Besonders gefährlich für Schreibanfänger
Die Erfahrung zeigt aber, dass besonders Schreibanfänger eher dazu neigen, bei Problemen sich nicht durchzubeißen, sondern eben einfach die andere Geschichte herzunehmen und dort weiterzumachen. Die Gefahr ist groß, sich hierbei zu verzetteln oder womöglich die Geschichte(n) ganz zu verwerfen.
Wenn du nicht weißt, wie es weitergehen soll – weil du nicht oder nicht sorgfältig geplottet hast – nimmst du dir die andere Geschichte vor. Aber auch hier läuft es nicht so, wie du es dir vorstellst und ach, da war doch noch diese andere tolle Idee …
Und schwuppdiwupp hast du eine dritte Geschichte angefangen, die aber irgendwann auch an einen toten Punkt kommt. Wahrscheinlich genau dann, wenn die Geschichte schriftstellerisches Können verlangt, etwa einen unerwarteten Wendepunkt, oder das Aufbauen von Spannung.
Das ist natürlich schade und lässt sich mit ein bisschen Planung vermeiden.
Die Mischform
Wenn du jeden Tag an zwei verschiedenen Projekten gleichzeitig arbeitest, die sich in verschiedenen Phasen befinden, würde ich das als Mischform der beiden obengenannten Arbeitspraktiken bezeichnen. Konkret bedeutet dies, dass du beispielsweise morgens den einen Roman überarbeitest und abends den zweiten schreibst.
Da z.B. die Überarbeitung oder die Covergestaltung ein ganz anderes Arbeiten ist als das eigentliche Schreiben, fällt es den meisten nicht schwer, sich rasch in die zwei verschiedenen Geschichten einzudenken. Beim Überarbeiten gehst du in der Geschichte viel schneller vorwärts und achtest auf andere Dinge, Satzbau, Stilmittel oder auch inhaltliche Fehler. Das ist abwechslungsreich und lässt sich gut mit dem Schreiben eines Rohentwurfs einer anderen Geschichte kombinieren.
So läuft’s bei mir
Meistens praktiziere ich die Mischform. Zur Zeit überarbeite ich einen Roman, einer befindet sich in der Testleserphase und der dritte ist fertig geplottet und wird abends mit 1000 Wörtern gerade heruntergeschrieben. Die Idee für einen weiteren spukt mir im Kopf herum und wartet darauf, dass ich mir für eine ordentliche Plotphase Zeit nehme. Dies alles gleichzeitig zu überblicken, bereitet mir keine Probleme.
Es gibt auch Phasen bei mir, da schreibe ich nicht. Die meiste Zeit geht bei mir leider mittlerweile fürs Überarbeiten drauf. Aber das ist auch okay.
Das gleichzeitige Schreiben zweier Rohfassungen habe ich zwar probiert, es aber wieder als für mich unbrauchbar fallengelassen. Lieber vertiefe ich mich ganz in die aktuelle Geschichte und bringe diese mit aller Konzentration zu Ende, als dass ich mich aufteile und nur mit halber Kraft arbeite. Es bringt mir mehr Erfolgsgefühle, wenn ich eine Geschichte fertiggestellt habe und mich dann voll und ganz der nächsten widmen kann.
Meine Empfehlungen
- Schreibe zumindest die Rohfassung in einem Stück herunter. Dabei tauchst du komplett in die Geschichte ein und verlierst nicht wertvolle Zeit mit Zurückblättern und Überlegen, was die Protagonistin vier Seiten vorher erklärt hat. Denn das weißt du noch, weil du es erst gestern geschrieben hast 🙂
- Wenn du sehr, sehr viel Zeit hast, ist es durchaus möglich, zwei Rohfassungen in einem Stück zu schreiben. Eine Deadline, z.B. von einem Verlag, wirkt da unheimlich antreibend. Ich könnte mir vorstellen, dass eine zeitliche Trennung, also zum Beispiel morgens am einen und abends am anderen Roman zu arbeiten, Verwirrung im eigenen Gehirn vermeidet. Der Mensch liebt nun mal Routine und dein Gehirn mag es, wenn es genau weiß, morgens ist Roman A dran und abends Roman B.
- Eine zeitliche Trennung finde ich auch gut, wenn man in verschiedenen Phasen an den Geschichten arbeitet. Also morgens Überarbeitung und abends schreiben. So halte ich es schon sehr lange und es hat sich sehr bewährt. Es kommt mir richtig seltsam vor, wenn ich morgens am Schreibtisch sitze und an der Rohfassung weiterschreiben soll. Es funktioniert irgendwie schon, aber es kostet am Anfang mehr Energie, bis ich in der Routine bin. Umgekehrt, abends zu überarbeiten oder zu plotten, habe ich aufgegeben. Dafür ist mein Kopf am Abend zu leergefegt und zu müde.
- Wenn du nur ein Zeitfenster am Tag hast, wird es schon kritischer. Die Erfahrung lehrt, dass wenn man mitten im Schreibfluss ist, es einem unheimlich schwerfällt, nach der mit sich selbst vereinbarten Uhrzeit damit aufzuhören und mit dem anderen Projekt weiterzumachen. Egal, ob du an zwei Rohfassungen arbeitest oder in eine andere Phase springen willst. Wenn man richtig konzentriert ist und es fließt, ist es schon blöd, mittendrin aufzuhören. Da kann es sinnvoller sein, einen Zwei-Tage-Rhythmus einzuführen. Aber das musst du ausprobieren, was für ein Arbeitstyp du bist.
- Lege genau fest, wann du woran arbeitest. Es hilft ungemein, eine Routine zu entwickeln, sodass du nicht wertvolle Gehirnkapazität verschwendest, indem du dich an den Schreibtisch setzt und erstmal überlegen musst, auf was du jetzt Lust hast. Sonst kommst du nicht vorwärts.
- Nicht empfehlen kann ich das Springen von Rohfassung zu Rohfassung nach Lust und Laune. Der Zeitverlust ist einfach enorm und die Gefahr groß, dass aus beiden Geschichten nichts rechtes wird. Aber ich bin sowieso eine Freundin von Disziplin und Ordnung, von daher dürfen die Chaoten unter euch gerne so weiterarbeiten, wenn es für euch funktioniert 🙂