Warum Perfektionismus beim Schreiben fehl am Platz ist

Blume Warum Perfektionismus beim Schreiben fehl am Platz ist

Du hast eine cooole Idee

Diese Geschichte wird der Hammer. Die wird einfach genial. Du schreibst also das erste Kapitel. Aber Moment mal, irgendetwas stimmt nicht. Diese Formulierung … der Stil … hier stimmt die Grammatik nicht … und hier die Rechtschreibung … und außerdem, wenn Person A sich so verhält, müsste doch Person B im zweiten Kapitel …

Und schon ist es passiert. Dein Perfektionismus bremst dich aus, obwohl es gerade so gut gelaufen ist. Du bist unzufrieden, fängst an umzuschreiben, zu überarbeiten. Bis alles stimmt. Und dann nimmst du dir das zweite Kapitel vor.

Aber hey, verflixt nochmal, plötzlich kommt dir die geniale Idee, Person B könnte doch eifersüchtig auf Person C sein, was ihr Verhalten gegenüber A viel besser erklären würde. Aha. Also musst du nun schon zwei Kapitel überarbeiten, damit alles stimmt. Und nun kommt Kapitel 3 …

Stopp – Perfektionismus-Modus aus

Egal, wie gut du deine Geschichte geplottet hast, am Ende wird doch eine etwas andere Geschichte herauskommen. Ich bekenne, dass ich lieber plotte als aus dem Bauch heraus schreibe, aber dennoch habe ich es bisher nie geschafft, mich hundertprozentig an meinen Plotplan zu halten.

Es bringt dir also gar nichts, wenn du zu perfektionistisch bist. Hey, du schreibst eine Rohfassung. Und Rohfassungen haben es an sich, grundsätzlich immer unlogisch, fehlerhaft und nicht allzu perfekt formuliert zu sein. Sonst wären sie bereits fertige Romane.

Woran liegt das? Mache ich etwas falsch?

Bestimmt nicht. Und schlimm ist es auch nicht, weil es schätzungsweise jedem so geht, der schreibt. Ich hatte mal Kontakt zu einer Autorin, die ihr erstes Buch schrieb und mir sagte, sie hätte den Anspruch, jedes Kapitel erst bis zur absoluten Perfektion auszuarbeiten, ehe sie das nächste anginge. Sie hatte einen ausgefeilten Plotplan, der vorsah, binnen 6 Wochen (es können auch 8 gewesen sein, auf jeden Fall war es ein atemberaubend kurzer Zeitraum) den Roman verlagsfertig vorliegen zu haben.

Nach etwa drei Wochen gab sie auf. Ihr Perfektionismus hat sie kein Stück schneller vorwärtsgebracht, im Gegenteil, sie musste sich einen neuen Plan zurechtlegen.

Ich behaupte nicht, dass so etwas nicht funktionieren könnte. Aber ich kenne niemanden, der so etwas je geschafft hat. Und meiner Meinung liegt es daran, dass sich trotz des szenengenauesten Plottens die Geschichte einfach unerwartet entwickelt. Man kann gar nicht alle Eventualitäten und Möglichkeiten voraussehen.

So ist das halt mit dem Plotten

Irgendwie kommt es doch immer anders, als man denkt. Zum Beispiel habe ich geplottet: Farani, Felix und Alexa kommen in die Zauberkammer von Amalia. Dort finden sie den magischen Edelstein, die „Schimmernde Träne”. Dann kehren sie zurück.

Da mir aber während des Schreibens die Idee kam, Amalias magische Zauberkammer mit allerhand Spiegeln auszustatten, um das Ganze noch etwas dramatischer zu gestalten, mit Lichteffekten und so weiter, kam mir aber plötzlich ein weiterer Einfall für das Ende des Buches. Alexa könnte doch mit einem magischen Spiegel … halt, ich will nicht zu viel verraten, aber auf jeden Fall war das bisher geplante Ende hinfällig. Und da Amalia offenbar einen Spiegeltick hat – das wusste ich bis zu dieser Szene selbst nicht -, würde ein Spiegel auch in Band 3 eine Rolle spielen, soviel war sicher.

Du könntest nun einwenden: Dann müsste man eben noch genauer plotten.

Das stimmt vielleicht. Vielleicht hätte ich in Stichpunkten die Kammer schon beschreiben können. Vielleicht auch, wie sie zurückkehrten. Das änderte sich nämlich auch, nachdem plötzlich die vielen Spiegel auftauchten.

Beim nächsten Roman werde ich das versuchen. Aber ich wette, dass wieder irgendetwas dazwischenkommt, was den Plot verändert. Und sei es nur etwas, was einer der Protagonisten sagt. Denn, bei aller Liebe, komplette Gespräche werde ich sicherlich nicht plotten.

Was ist die Lösung?

Das ist eigentlich nicht so schwer. Schalte deinen inneren Kritiker aus. Schreibe die Rohfassung herunter, so gut oder so schlecht sie aus deiner Feder fließt, und zwar so schnell wie möglich.

Warum so schnell wie möglich? Weil es unheimlich dabei hilft, diese innere gemeine Stimme zum Verstummen zu bringen, wenn es immer vorwärts gehen muss. Man hat einfach keine Zeit, das Geschreibsel von gestern und vorgestern noch einmal zu lesen und darüber nachzugrübeln. Ganz toll hier zum Üben ist der NaNoWriMo, bei dem es darum geht, innerhalb von 30 Tagen 50000 Wörter herunterzuschreiben. Aber das habe ich ja schon öfters erwähnt 🙂

Dir fallen keine geeigneten Wörter ein? Egal, dann nimm die zweitbesten. Wenn du magst, vermerke dir in den Kommentaren, dass hier nachgefeilt werden muss. Aber sehr wahrscheinlich wirst du das bei der nachfolgenden Überarbeitung sowieso merken.

Dir fällt auf, dass dein Protagonist mit einer anderen Charaktereigenschaft glaubwürdiger wirkt? Wenn du dir ganz sicher bist, dass die Umgestaltung besser ist, ändere die entsprechende Eintragung in deinem Charakterbogen und schreibe mit der neuen Eigenschaft weiter. Hier solltest du dir aber unbedingt eine Markierung setzen, dann weißt du nämlich genau, bis zu welcher Szene du den Charakter neu bearbeiten musst. Ist mir tatsächlich einmal passiert. Und ich grübelte ewig darüber nach, ob ich den Anfang gleich noch einmal neu schreiben sollte. Ich habs nicht getan, zum Glück. Denn bei der Überarbeitung wurde der Anfang sowieso noch einmal umgeschrieben, und dann hätte ich doppelte Arbeit geleistet. Die Faulheit siegte hier doch glatt über den Perfektionismus.

Entspanne dich

Du schreibst eine Rohfassung. Die kann gar nicht perfekt sein. Du wirst sie sowieso noch etliche Male überarbeiten.

Wenn du es so siehst, wirst du auch nicht mehr jeden Satz zweimal herumdrehen, sondern ganz locker stehenlassen. Ich rege mich immer auf, wenn ich Wörter mehrfach benutze, also zum Beispiel fünfmal hintereinander „Tisch” oder so etwas schreibe. Da juckt es mich jedes Mal in den Fingern, das Woxikon zu öffnen und nach Synonymen zu suchen. Bis ich es gelernt habe, mich zu beherrschen und einfach weiterzuschreiben, das kostete mich Nerven, kann ich dir sagen. Aber jetzt tue ich es (meistens), weil es einfach zu viel Zeit verschwendet.

Der Vorteil vom unperfekten Schreiben

Du kommst schneller voran, deine Geschichte wächst schneller, deine Motivation geht dadurch nicht so schnell verloren und schwuppdiwupp bist du mit der Rohfassung fertig

Du bremst dich nicht schon gleich am Anfang aus! Schlecht formulierter Satz? Pah, wen juckt’s. Um den kann sich der Perfektionismus-Zuständige (=der innere Kritiker) bei der Überarbeitung kümmern.

Natürlich soll das kein Freifahrschein sein, sich überhaupt keine Gedanken mehr zu machen. Wie gesagt, ich bin ein Fan vom Plotten  und immer noch daran, meine Technik zu verfeinern. Denn auch wenn ich mich inzwischen einigermaßen mit dem Überarbeiten angefreundet habe, so richtig gerne tue ich es immer noch nicht.

Aber jetzt geht es einfach nur darum, den Roman überhaupt einmal aufs Papier zu kriegen und festzunageln. Die Ausschmückung, die Details, das Feilen an den Sätzen, das darf alles später kommen. Schließlich baut man auch erst einen Rohbau und wenn da alles passt und funktioniert, fängt man mit dem Innenausbau an. Und ganz am Schluss stellt man die Blumenvase auf den Eichentisch. Genauso ist es mit deiner Geschichte.

Überarbeitung muss sein – erst dann ist Zeit für Perfektionismus

Gibt es jemanden, der gerne überarbeitet? Also lieber als sich gleich an eine neue aufregende Geschichte zu setzen?

Aber im Prinzip ist es egal, ob man es gerne macht oder nicht. Eine Geschichte, an der man sitzt und schreibt, ist nicht statisch. Am Beginn kannst du gar nicht wissen, in welche Richtung sich deine Charaktere noch weiterentwickeln. Je mehr sie miteinander interagieren, desto besser lernst du sie kennen. Das ist es auch, was manche mit dem Eigenleben von Figuren meinen. Aber vergiss trotzdem nicht, DU bist der Chef.

Oder der Plot entwickelt sich nicht schnurgerade an deinem Plotplan entlang, sondern weicht an manchen Stellen ab. Das kann ein winziger Punkt sein. Kleinigkeiten kommen hinzu oder fallen weg, wie ich es im obigen Beispiel mit der Zauberkammer beschrieben habe. Und die ziehen manchmal einen langen Rattenschwanz nach sich.

Und das ist ja nicht deine „Schuld”, auch wenn es sich manchmal so anfühlt. Man hat den Roman beendet, liest das erste Kapitel noch mal und denkt sich, meine Güte, was habe ich für einen Mist geschrieben. Hätte ich nicht besser aufpassen können? Besser planen müssen?

Nein, das konntest du gar nicht. Also mach dich frei von solchen negativen Gedanken, von diesem störenden Perfektionismus und schreibe einfach drauflos. Mit oder ohne Plot, das ist dir überlassen. Je nachdem fällt eben mehr oder weniger Überarbeitung an, aber ganz ohne wird es sowieso nicht gehen.

Das. Ist. Normal.

Hast du es schon geschafft, diese innere Stimme zum Verstummen zu bringen und einfach draufloszuschreiben? Oder haderst du mit jedem Satz?

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