Anschaulich schreiben – so geht’s

Anschaulich schreiben Lac d'Annecy
Lebendige Geschichten wecken im Kopf des Lesers Bilder – wie im Kinofilm. Wir haben uns schon ausgiebig mit der Technik des Show, don’t tell beschäftigt – hier und hier.
Nun wollen wir ein wenig konkreter werden. Anschaulich schreiben funktioniert mit der Wahl der richtigen Wörter. Diese lassen im Kopf des Lesers Bilder aufblitzen.
Wenn du ausdrücken möchtest, dass jemand Angst hat und vor irgendjemanden flüchtet, dann schreibst du sicher nicht: „Er hatte Angst und flüchtete Hals über Kopf aus dem Gebäude.” Stattdessen schilderst du, wie der Mann sich mit einem gehetzten Ausdruck in den Augen umdreht, den Kopf links und rechts dreht, um die Gefahr zu erkennen und schließlich die Treppe hinunterhetzt, fast gegen die Eingangstür prallt, um sie dann aufzureißen und zu verschwinden.  Oder so ähnlich.
Merke: Treffende Wörter erzeugen lebendige Bilder im Kopf.

So oder ähnlich könnte man eine Szene in einem Film drehen. Mit dem ersten Satz gelänge das nicht. Anschaulich schreiben ist unheimlich wichtig, um die Vorstellungskraft der Leserin anzukurbeln.

Vermeide Oberbegriffe

Werde konkret. Benutze treffende Wörter statt schwammige Oberbegriffe. Das hat den Vorteil, dass die Leser nicht groß überlegen müssen, was genau gemeint ist.

Oberbegriff  versus konkretes Wort

Auto:   Rostlaube, Familienkutsche, Flitzer, …
Lecker:   fruchtig, scharf, zerging auf der Zunge, pikant, …
Hund:   Pinscher, Schäferhund, Dackel, …
Kleidung:   Rock, Hose, Bluse, …
Baum:   Tanne, Buche, Weide, …
Gehen:   schlurfen, rennen, traben, ….

Ich denke, das Prinzip dürfte klar sein.

In dem Buch „Deutsch für Profis“ von Wolf Schneider sagt er: «Hühner höre ich noch gackern, Geflügel nicht mehr.»

Anschaulich schreiben heißt Allerweltswörter vermeiden

Am besten geht das mit einem Synonym-Wörterbuch. Die gibt es auch online, z.B. das hier.
Schon alleine, um Wiederholungen zu vermeiden, habe ich immer meinen Online-Thesaurus geöffnet. Aber selbst wenn du das Wort nur einmal benützt, ist es besser, ein markantes, schlagkräftiges Wort zu nehmen.
Spüre bei der Überarbeitung alle diese nichtssagenden Worte auf und ersetze sie durch interessante. Das Lesevergnügen steigert sich um ein Vielfaches.

Du kannst auch ein eigenes Wörterbuch anlegen – mit interessanten Wörtern oder auch ganzen Formulierungen, die dir gefallen. Hier habe ich darüber geschrieben, wie ich es seit Neuestem mache. Und ich finde, der eigene Wortschatz erweitert sich enorm.

Anschaulich schreiben heißt Floskeln und ausgediente Metaphern vermeiden

Bei der ersten Fassung eines Romans schreiben die meisten, ohne groß nachzudenken – und das ist gut so. Es geht darum, erst einmal die Geschichte grob niederzuschreiben.
Was dabei herauskommt, sind aber meistens schaurige Aneinanderreihungen von Floskeln, über die hinweggelesen werden. Weil man sie schon tausendmal gelesen hat und daher langweilig sind.
Es gibt auch Metaphern, die schon so im Sprachgebrauch verankert sind, dass wir sie gar nicht mehr als Metaphern wahrnehmen. Beispielsweise: „Sie stürmte wie ein Wirbelwind die Treppe hinunter”, „Das ist nur die Spitze des Eisbergs”.
Solche Ausdrücke müssen unbedingt bei der Überarbeitung korrigiert werden. Sonst schlafen deine Leser langsam ein. Doch worauf kommt es an?
Merke: Wenn du in deinem Text auf eine Formulierung stößt, die du dir nicht selbst ausgedacht hast (gähnend langweilig, Hals über Kopf, schwarz wie Ruß, …), dann handelt es sich höchstwahrscheinlich um eine Floskel. Bäh. Am besten überlegst du, wie du die Situation mit anderen Worten beschreiben kannst.
Verzichte lieber auf einen Vergleich, bevor du einen ausgelutschten nimmst. Und wenn du dir etwas Neues ausdenkst, muss es auch schön klingen. Abgehobene oder schräge Vergleiche kommen meist nicht gut an.

Aber Achtung, manchmal muss man zum anschaulich schreiben die eine oder andere gängige Floskel stehenlassen. Sonst erreicht man das Gegenteil eines lebendigen Textes, nämlich dass er anstrengend zu lesen ist und den Leser verschreckt.

Anschaulich schreiben heißt originelle Bilder zu benutzen

Versuche, durch passende Bilder das Kopfkino des Lesers zu aktivieren (Stichwort show, don’t tell). Dabei aufpassen, dass das Bild nicht schon verbraucht ist, wie beispielsweise  Pech und Schwefel, sintflutartige Regenfälle, etc. Oben hatten wir schon genügend Floskeln.
Hinter richtig schönen Bildern steckt harte Arbeit, denn bis alles sitzt und passt, hat man so einige Formulierungen im Gehirn gewälzt. Hier ist beispielsweise ein Satz von Cecelia Ahern aus ihrem Buch „Vermiss mein nicht”, den ich mir vor einigen Wochen in meiner Kladde notiert hatte: „Ferne stieg schon die Sonne über die Bäume, wie eine riesige Orange, die ihren leuchtend gelben Saft über Dörfer, Bäume, Berge und Felder auspresste, flüssiges Licht, das die Wege in glitzernde Bäche verwandelte.”

Na, ist das nicht ein kräftiges Bild? Natürlich kann man solche Bilder nicht in jedem Satz unterbringen. Hier und da aber eingeflochten, entstehen wunderbar ausdrucksstarke Texte.

Anschaulich schreiben heißt Adjektive streichen

Nimm dir mal deinen Text vor und streiche alle Adjektive an. Wie viele sind es? Wenn dein Text nun dem Fellmuster eines Jaguars gleicht, solltest du ihn dir nochmal vornehmen.
Ersetze wo es möglich ist, das Adjektiv mit einem Verb. Verben bedeuten Handlung, Action, Vorankommen. Natürlich muss der Satz ein wenig umgebaut werden, das sollte aber für einen Schriftsteller kein Problem sein. Schreib also statt „Paul verströmte einen ekligen Geruch” lieber „Laura schnupperte, verzog das Gesicht und rückte von Paul ab.”
In anderen Fällen ist es leicht möglich, das Adjektiv zu streichen. Meist macht es keinen bedeutsamen Unterschied, ob es da ist oder nicht. Im Gegenteil, die Aufmerksamkeit des Lesers wird auf die Handlung gerichtet und nicht durch Nebensächlichkeiten abgelenkt, die sein Gehirn strapazieren.
Beispiel: „Laura schob den weißen Tisch beiseite.”
Laura schob den Tisch beiseite.”

Und, ist es wichtig, dass der Tisch weiß ist? Wahrscheinlich nicht. Der zweite Satz ist kurz und knackig.

Anschaulich schreiben heißt, nicht zu schwafeln

Ein Text sollte auf den Punkt kommen.
Manchmal kommt es vor, dass man einen ganzen Absatz braucht, um einen Sachverhalt zu beschreiben. Möglicherweise fehlten einem im Rohentwurf die passenden Wörter und man hat sie umschrieben. Jetzt bei der Überarbeitung ist die Zeit, solche Passagen zu vereinfachen, indem man die Sätze neu und kürzer fasst.
Ganz besonders lang werden Sätze, wenn man sie mit Nebensätzen verschachtelt. Um den Text leichter verständlich zu machen, sodass er flüssiger zu lesen ist, schau mal, wo du solche Nebensätze streichen kannst.
Beispiel: Im Prinzip war es Felix egal, ob ihn die Eistrolle sehen würden, denn sie könnten ihn sowieso nicht fangen, da der Gang zu eng für ihre wuchtigen Körper war.
Besser: Die Eistrolle könnten ihn sehen. Egal, der Gang war zu eng für ihre wuchtigen Körper.

Hier habe ich bereits die Nebensätze gestrichen. Das hier „denn sie könnten ihn sowieso nicht fangen”, ergibt sich  aus dem Kontext und kann weggelassen werden. Und aus dem Rest wurden zwei Sätze statt ein langer.

Verzichte auf Pleonasmen, Tautologien und Füllwörter

Pleonasmen sind die berühmten Doppelungen wie der weiße Schimmel. Hier ist es ja noch offensichtlich, und wenn ich so einem weißen Schimmel auf die Spur komme, bringt er mich echt zum Lachen.
Schwieriger ist es schon mit der schlimmsten Katastrophe, den schweren Verwüstungen, den potentiellen Einkaufsmöglichkeiten, dem dichten Gedränge, dem lauten Krach, wenn etwas neu renoviert ist, dem berühmten Star, dem feuchten Nass, der steilen Felswand, dem alten Greis, dem natürlichen Instinkt und so weiter.
Tautologien sind Wiederholungen von dem, was bereits schon dasteht, nur mit anderen Worten. Meist entstehen sie, wenn wir Autoren einen Sachverhalt nicht konkret ausdrücken. Man will die Situation beschreiben, findet das passende Wort nicht und umkreist es mit vielen gleichen Worten. Meist entdeckt man Tautologien beim Überarbeiten. Sie sind schrecklich langatmig …
Beispiel: „Tante Emma sollte sich das in Ruhe überlegen und keine voreiligen Schlüsse ziehen.” „Wenn ihr nicht endlich aufhört, geht es immer so weiter!”

Füllwörter sind das, was es heißt. Sie blähen einen Satz auf. Füllwörter sind zum Beispiel auch, immer, noch, eigentlich, irgendwie, wirklich, ziemlich und so weiter. Die allermeisten können weg, die übrigen dosiert man sparsam. In gesprochener Rede wirken sie noch einigermaßen natürlich, aber im eigentlichen Text müssen sie gemieden werden.

Anschaulich schreiben heißt aktiv schreiben

Weg mit dem Passiv. Das verursacht nur Hirnverknotungen, denn das Hirn braucht etwas länger, um die umständliche Passivkonstruktion zu verstehen. Das Passiv benötigt ein Hilfsverb, klingt distanzierter und eben … passiver. Was wir in unserer Geschichte brauchen, sind aber aktive Handlungen.

Wo immer es geht und Sinn macht (vorsichtig, nicht immer macht es Sinn), sollte der Satz im Aktiv stehen.

Nutze kürzere Wörter

Linguisten haben herausgefunden, dass kürzere Wörter schneller verständlich sind als lange. Für die Fortgeschrittenen (besser: Profis) unter uns ein Grund, Wörter mit mehr als drei Silben kritisch zu beäugen.
Computerbildschirm oder Monitor?
Transportieren oder tragen?
Eine Herausforderung könnte auch einfach ein Problem sein. Besonders Wörter mit -ung sind verdächtig. Eine Kündigung aussprechen – man könnte auch einfach kündigen.

Allerdings: Manchmal trifft einfach das längere Wort besser. Dann sollte es auch den Vorrang haben.

Zusammenfassung:

  • Oberbegriffe vermeiden
  • Allerweltswörter vermeiden
  • Floskeln und ausgelutschte Metaphern vermeiden
  • Originelle Bilder benutzen
  • Adjektive vermeiden
  • Nicht schwafeln, kurze Sätze benutzen
  • Pleonasmen, Tautologien und Füllwörter vermeiden
  • Im Aktiv schreiben
  • Kurze Wörter bevorzugen
Einen schönen anschaulichen Schreibstil zu entwickeln ist harte Arbeit. Ich gehe dazu meinen Text mehrmals durch. Mit Hilfe der Vorlesefunktion von Word entlarve ich meist schon beim ersten Durchgang die schlimmsten Übeltäter. Kürzen und verdichten, und dann nochmal kürzen und verdichten. Schöne Bilder einfügen.
Beachtest du die obigen Tipps, sollte aus einem lahmen Text etwas Zündendes werden. Ein gut  geschriebener Text hält die Waage zwischen anschaulich beschreibender (meist längerer) Sprache und  dem Credo „In der Kürze liegt die Würze.” Hieraus entsteht die Dynamik des Textes. Nicht einfach hinzukriegen, aber Üben lohnt sich.

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